Das Besondere der Bugatti Design-Philosophie
Molsheim
Chefdesigner Achim Anscheidt über die Herausforderung bei Hommage-Editionen
Hypersportwagen von Bugatti sprechen für sich: Sie sind elegant, modern, zeitlos und außergewöhnlich schön.
Dafür verantwortlich: Achim Anscheidt, Chefdesigner bei Bugatti. „Aber nur verantwortlich, denn der Verdienst für die fantastischen Autos gebührt dem Team von Designern und Kreativen. Wir entwickeln gemeinsam neue Ideen und damit neue Bugatti-Modelle, wie die aktuellen Coachbuilding-Hypersportwagen“, sagt Achim Anscheidt. „Im Grunde gehört dazu das ganze Bugatti-Team. Denn bei Bugatti folgt die Form der Performance. Deshalb arbeiten wir eng mit den Ingenieuren zusammen“, sagt Anscheidt. Anders würde es bei diesen hochkomplexen und technisch außergewöhnlichen Hypersportwagen nicht funktionieren. Die technische Entwicklung hat bei Bugatti berechtigt eine gewisse Dominanz. Denn der Superlativ ist der faszinierende W16-Motor mit acht Liter Hubraum und mindestens 1.500 PS.
„Im Design sagen wir oft: „In order to look forward, you have first to look back.” Bedeutet: Ich muss erst die Vergangenheit der jeweiligen Ikone verstehen, die Signifikanz des jeweiligen Autos im damaligen Umfeld analysieren und herausarbeiten. Erst dann kann ich herausbilden, wo die stilistischen Herausforderungen damals lagen, wie sie gemeistert wurden und wie man das in die Zukunft als Substrakt neu interpretieren könnte“, erklärt der Chef-Designer.
Das gelinge, wenn man das Originale in seinem vollen Umfang begreife, erkenne, welche Linien zur Gestaltung der damaligen Zeit gehörten oder welche eine Laune des Designers waren. „Das muss nicht schlecht sein. Aber oft gibt es signifikante Details, die etwas mit der außergewöhnlichen Situation der damaligen Zeit zu tun haben, wie beim Bugatti Type 57 SC Atlantic“, erklärt Anscheidt. Wie etwa die Ambitionen Jean Bugattis und wie er die Welt stilistisch sah. Aber auch, wie damals Fahrzeuge produziert wurden. „Das sind wichtige Faktoren, um zu verstehen, warum das Modell genauso gezeichnet wurde. Dann erst können wir sehen, wo es interessante Charakterdetails gibt, die wir neu interpretieren können. Das ist authentisches Überliefern“, sagt der 57-Jährige. Oft gebe es keine zehn Merkmale, sondern nur zwei oder drei. Das reiche aber, um eine moderne Hommage zu schaffen.
Beim im März 2019 vorgestellten „La Voiture Noire¹“, einem ultimativen Gran Turisme für einen Bugatti-Enthusiasten, war der Type 57 SC Atlantic in seiner Gänze zu verstehen. Das Coupé, von Jean Bugatti erschaffen, war ein Supersportwagen der 1930er-Jahre und in seiner Eleganz unübertroffen. „Der historische Atlantic ist ein faszinierendes Automobil – in seiner Erscheinung als Skulptur als auch in seinen Proportionen. Dieses Coupé modern zu übersetzen war eine dankbare Aufgabe, weil seine Form ein natürlicher Ansatz für die Gesamtgestaltung des neuen Fahrzeugs bedeutet“, erklärt Anscheidt. Im Automobildesign ist der proportionale Eindruck des Automobils entscheidend. Erst danach schauen die Betrachter auf Details.
Die Gesamterscheinung des Atlantic mit seinem muskulären aber auch schlichten Auftritt war damals außergewöhnlich. Der Neuinterpretation „La Voiture Noire¹“ sehe man diese Schlichtheit und Eleganz in seiner muskulären Betonung ebenso an. „Es gibt keine Linie am „La Voiture Noire¹“, die wir noch weglassen könnten, ein Maximum an formaler Reduktion“, ist sich Anscheidt sicher. Dazu komme die ausgeprägte Mittelfinne, die beim Atlantic eine technische Notwendigkeit war, beim „La Voiture Noire¹“ als stilistische DNA übersetzt wurde.
Für den Centodieci auf den EB110 zurückblicken
Beim im Sommer 2019 präsentierten Centodieci² (italienisch für 110) wollten Achim Anscheidt und sein Team erstmal verstehen, woher der EB110 kommt und welche Bedeutung das Modell bei seiner Präsentation hatte. „Der EB110 war Anfang der 1990er-Jahre nichts anders als der beste Supersportwagen der Welt“, meint Anscheidt. Dazu stellte Bugatti nicht nur ein neues Modell vor, sondern konzipierte es auf einem weißen Blatt Papier – und dazu gleich noch eine neue Fabrik, die Fabbrica Blu in Campogalliano. Die war damals State of the art und bot mit die besten Arbeitsbedingungen im Umfeld.
„Stilistisch ist ein EB110 in seiner Gesamtskulptur in gewisser Weise ein italienischer Keil auf Rädern. Das wollten wir für eine neue, moderne Interpretation als Hommage berücksichtigen“, sagt Anscheidt. Doch der EB110 war mehr als nur ein neuer Supersportwagen. Es war das erste neu gebaute Bugatti-Modell nach fast 35 Jahren und ein wichtiger Zwischenschritt zum ersten Hypersportwagen der Neuzeit, dem Bugatti Veyron.
Designer Anscheidt ließ sich beim Centodieci² ebenso vom Architekten Giampaolo Benedini inspirieren. Der Cousin des damaligen Bugatti-Besitzers Romano Artioli entwarf die Fabrik und das komplette Anwesen, ebenso verantwortete er als finaler Designer die letzten Entwürfe des EB110. Mit einer fast bauhausartigen Herangehensweise an ein Automobildesign schuf er einen der faszinierendsten Supersportwagen der 1990er-Jahre. „Das hat er mit Bravour gemeistert, bekommt meinen Respekt und beeindruckt mich immer noch tief. Durch seine Denkweise gelang uns diese sehr grafische, ja fast schon geometrisch anmutende Vorgehensweise in den Details, die sich im Centodieci² reflektiert“, erklärt Anscheidt.
Inspiration alleine durch Bugatti-Philosophie
Dabei lässt sich Bugattis-Chefdesigner für neue Projekte nicht aus der Natur oder Architektur inspirieren, sondern von Bugattis Philosophie „form follows performance“. Bei einem technisch hochkomplexen Fahrzeug wie dem Chiron³ entwickeln die Designer gemeinsam eng mit den Ingenieuren eine neue stilistische Ausarbeitung. „Probleme werden gemeinsam gelöst, so dass das neue Modell die von uns erhofften stilistischen Anforderungen, gleichzeitig aber auch die technischen Herausforderungen erfüllt“, erklärt Anscheidt. Der Bugatti Divo⁴, ein auf Querbeschleunigung optimierter Hypersportwagen, sei ein gutes Beispiel dafür.
Beim Divo⁴ lag die Herausforderung darin, eine technische und stilistische Möglichkeit zu finden, um dem Hypersportwagen einen neuen Charakter einzuhauchen. „Wir wollten von Anfang an, dass Betrachter dem Divo⁴ sofort ansehen, dass er für mehr Querdynamik geschaffen ist, dass er noch agiler fährt und leichter ist als der Chiron³. Diese Leichtigkeit mussten wir visualisieren“, erklärt Anscheidt. Beim Divo sei das durch eine andere Proportionsaufteilung gelungen. Die grafische Einteilung und alle Elemente, die das bewirken, sind tatsächlich Performance-Elemente. „Unsere Bugatti-Philosophie „form follows performance“ wird beim Divo⁴ besonders deutlich. Alle sichtbaren Bauteile haben einen realen aerodynamischen Bezug“, sagt er.
Jede Hommage muss wie ein echter Bugatti aussehen
Das Schwierigste seiner Arbeit liegt in der Balance zwischen einer komplexen und diffizilen herausfordernden technischen Entwicklung und stilistischen Variationen rund um den Chiron. Dazu muss jede Hommage immer noch als typischer Bugatti wahrgenommen werden. Denn selbst gutes Design historischer Fahrzeuge lässt sich niemals eins zu eins ins 21. Jahrhundert übersetzen. „Auch in 50 Jahren muss das Fahrzeug bei einem Concours de Elegance auftreten können und seine Signifikanz haben, als authentisch gestaltetes Automobil seiner Zeit. Dann kann ich voll dahinter stehen, rund ums Auto gehen und genau erklären, warum die Details so aussehen, wie sie aussehen“, sagt Achim Anscheidt.
Das derzeit Spannendste seiner Arbeit sei die Entwicklung der virtuellen Welt. Die Designer entwickeln heute ohne Plastilin- und Clay-Modelle zu 90 Prozent ihre stilistischen Herleitungen virtuell ab. „Dann lernen wir noch neun Prozent hinzu und holen uns das letzte Prozent in der Perfektionierung. Das ist ein unglaublicher Fortschritt gegenüber der Arbeit von vor fünf Jahren“, sagt Anscheidt. Die virtuellen Modelle sind sehr realistisch, lassen sich schnell verändern und das Team spart viel Zeit damit. So können sie Bugatti-Fahrzeuge exakter und schöner planen. Auch in Zukunft.