Bugatti Centodieci – Erfolgreiche Tests im Windkanal
Molsheim
Selbst Kleinstserien wie der auf nur zehn Fahrzeuge limitierte Centodieci stimmt die französische Luxusmarke aufwändig ab – hier im Windkanal.
Selbst der stärkste Orkan kommt nicht an den Wind heran, dem der Centodieci¹ im Windkanal bei aerodynamischen Tests ausgesetzt wird. Mit bis zu 300 km/h umschlingt er die elegante Karosserie, bis er hinterm Heck abreißt. Ein 9.300 PS starker Motor treibt einen acht Meter großen Propeller an, sorgt damit für intensiven, permanenten Luftzug – genug um ein Flugzeug zum Abheben zu bringen.
Nicht so der Bugatti Centodieci. Der Prototyp der neuen Hypersportwagen-Kleinstserie des französischen Herstellers bleibt am Boden. Fünf Bänder simulieren parallel die hohe Geschwindigkeit von bis zu 300 km/h. Jeweils eines unter jedem Reifen, der fünfte unter dem Fahrzeugboden. „Damit simulieren wir die Luftströmungen unterhalb des Fahrzeugs und in den Radhäusern, können den Centodieci dadurch präzise abstimmen“, erklärt André Kullig, technischer Projektleiter für One- und Few-of-Projekte bei Bugatti.
Um durch den externen Antrieb der Räder keine Kräfte in das Fahrzeug einzuleiten, werden extra für die Messung die Antriebswellen demontiert. Das Fahrzeug wird dann nur noch von vier kleinen Pins im Unterboden fixiert und die Standhöhe gemäß Versuchsplanung variiert.
Unabhängig von der Stückzahl stimmt Bugatti jedes neue Modell von Grund auf ab, egal ob es sich um ein Einzelstück wie das La Voiture Noire handelt oder den auf zehn Einheiten limitierten Centodieci – beide mit maßgeschneiderter Karosserie. „Für uns als Ingenieure macht es keinen Unterschied, ob wir eine, zehn oder 500 Einheiten unserer Hypersportwagen bauen. Der Aufwand bleibt immer gleich hoch, da wir alle Qualitäts- und Sicherheitsstandards einer Großserie erfüllen und sogar übertreffen müssen und wollen“, erklärt André Kullig. Wegen der flach konstruierten Front mit dem kleineren Hufeisen strömt der Wind anders um das Fahrzeug als beim Chiron oder Divo². Bei einem Hypersportwagen, der deutlich über 350 km/h fährt, müssen Aerodynamik und Abtriebswerte hundertprozentig stimmen. Die besondere Herausforderung liegt darin, den vorher errechneten Zielwert der Entwickler zu erreichen. Nach der Simulation an Computern und dem ersten Prototypen-Rollout zählen dazu zusätzliche Windkanaltests, bevor es zu Hochgeschwindigkeitsfahrten auf Test- und Prüfstrecken geht.
Aufwändige Tests für optimales Fahrverhalten
Beim Prototyp im Windkanal nähern sich Entwickler durch kleine Veränderungen im nicht-sichtbaren Bereich den gewünschten Werten. Die vorderen Diffusorklappen lassen sich dafür in einem kleinen Winkelbereich verstellen, der später feste Heckflügel bietet ebenso Verstellmöglichkeiten von einigen Grad. „Auch wenn wir die optimale Einstellung gefunden haben, probieren wir weitere Varianten aus, um zu sehen, wie der Centodieci darauf reagiert“, sagt André Kullig.
Bei den Versuchen im Windkanal überprüfen die Ingenieure die Luftströmung an und um den Centodieci bei mehreren Geschwindigkeiten. Bei 140 km/h ermitteln sie zunächst mit einem Standard-Set-up einen Vergleichswert zu anderen Hypersportwagen von Bugatti. Dann fahren sie verschiedene Versuche bis zur maximalen Geschwindigkeit des Prüfstandes. „Wichtig sind die Daten für die Abtriebskräfte an Vorder- und Hinterachse. Die müssen stimmen, weil sie für das Fahrverhalten bei hohen Geschwindigkeiten entscheidend sind“, erklärt André Kullig. Das Ziel: Ein möglichst ausgewogenes Fahrverhalten im gesamten Geschwindigkeitsbereich von 0 bis über 300 km/h.
Entscheidend für den Thermohaushalt des 8,0-Liter-W16-Motor mit 1.600 PS ist auch die seitliche Luftanströmung, weil dadurch Motor- und Getriebeölkühler mit Luft versorgt werden. Anhand von speziellen Nebelbildern überprüfen die Ingenieure im Windkanal außerdem die Bremsenkühlung für die leistungsstarke Anlage. Bei weiteren Versuchen trifft der Wind in verschiedenen Winkeln seitlich auf die Karosserie, um auch das spätere Fahrverhalten bei schnell gefahrenen Kurven mit Lastwechsel zu simulieren. „Ganz gleich, bei welcher Geschwindigkeit und in welcher Fahrsituation, der Centodieci verhält sich sportlich neutral und jederzeit beherrschbar, trotz seiner immensen Leistung“, sagt Andre Kullig. Um das beste und finale Set-up zu wählen, werden die Ingenieure die nächsten Wochen noch viele Kilometer auf Prüf- und Teststrecken verbringen.
Mit dem Centodieci präsentierte Bugatti im Sommer 2019 ein weiteres Projekt aus seinem erfolgreich neu aufgelegten Coachbuilding-Programm. Der Centodieci zitiert Automobilgeschichte: Das einzigartige Projekt ist eine Hommage an den legendären EB 110, der vor rund 30 Jahren unter Romano Artioli die Marke Bugatti wiederbelebte. Der EB 110 wird zu dem Supersportwagen der 1990er-Jahre. Alles war neu an ihm: das atemberaubende Design ebenso wie seine exklusive Technik: Carbon-Monocoque, V12-Mittelmotor mit 550 PS, vier Turbolader und Allradantrieb trieben ihn auf Höchstgeschwindigkeiten von über 350 km/h – unerreichbar für andere Sportwagen aus der Zeit.
Mit dem EB 110 und dem Werk in Campogalliano war der leidenschaftliche Bugatti-Fan Romano Artioli seiner Zeit weit voraus. Er verstand es Ettore Bugattis Ideen zu Technologie, Design, Branding und Produktionsstandards auf ein ganz neues Level zu heben. Zu anspruchsvoll für den damaligen Zeitgeist. Bis 1995 entstehen nur 96 EB110 GT und 32 EB110 Super Sport.
Den Centodieci hat Bugatti auf zehn Fahrzeuge limitiert – alle Einheiten waren innerhalb weniger Stunden zum Stückpreis von acht Millionen Euro netto ausverkauft. Die Auslieferung des hochexklusiven und handgefertigten Modells erfolgt ab dem kommenden Jahr.