30 Jahre EB 110: Romano Artioli – Der Mann, der Bugatti wiederaufleben liess
Molsheim
Der gebürtige Italiener belebte 1991 Bugatti wieder und erschafft den EB 110 – seinerzeit der schnellste Supersportwagen der Welt.
Hartnäckigkeit kombiniert mit Träumen und grenzenloser Passion setzt sich durch. Das weiß keiner besser als Romano Artioli. Der gebürtige Italiener träumt jahrzehntelang von einem modernen Supersportwagen – und belebt dafür die damals ruhende Marke Bugatti.
„Romano Artioli ist ein Stück Geschichte unserer Marke. Dank seiner Initiative und seiner Beharrlichkeit wurde Bugatti wiederbelebt“, erklärte Stephan Winkelmann, Präsident von Bugatti. „Romanos Energie und Begeisterung, seine ungebrochene Leidenschaft für Bugatti hat der Marke geholfen, sie ins 21. Jahrhundert zu transportieren.“
Artiolis Liebe zu Autos hängt mit seiner Herkunft zusammen. In der Nähe von Mantua geboren, der Heimatstadt des Rennfahrers Tazio Nuvolari, faszinieren ihn als Kind Rennfahrer und ihre Autos. Mit zwölf Jahren verschlingt er ein Buch über Auto-Führerscheine. „Danach war für mich klar, dass mein Leben Autos und Motoren gehören würde“, erzählte er einmal dem Magazin Classic Driver. In Bozen studiert Artioli Maschinenbau, nach dem Krieg reparierte er Autos.
Als Artioli 1952 vom (vorläufigen) Ende der Produktion von Bugatti hört, ist er 20 Jahre alt und geschockt. Eine Marke mit überragender Qualität, anspruchsvollem Design, Ideen und technischen Errungenschaften muss eines Tages wiederbelebt werden. Er schwört sich: „Wenn niemand auf die Situation bei Bugatti reagiert, werde ich so lange arbeiten, bis ich die Marke eines Tages zurückbringen kann.“ Es sollte 39 Jahre dauern, ehe er sein Ziel erreicht. Seinen Unterhalt verdient der Italiener in den nächsten Jahren als Importeur unter anderem von Fahrzeugen, GM und Suzuki. Er wird zum größten Importeur von japanischen Autos in Italien und der größte Automobilhändler von Ferrari. Seine private Autosammlung umfasste damals viele historische Fahrzeuge von Bugatti.
Mitte der 1980er-Jahre beginnt der Italiener mit der französischen Regierung über den Kauf der Marke zu verhandeln – zwei Jahre lang diskret und verdeckt. 1987 gründet er die Bugatti Automobili S.p.A. und wird Vorsitzender. Artioli will die Firma zunächst in Molsheim auferstehen lassen. „Molsheim ist vergleichbar mit Maranello in Italien und Hethel in England. Es ist ein Tempel für Bugatti, doch es gab seinerzeit weder Hallen noch Techniker in der Region“, sagt der 88-Jährige. Er bittet Enthusiasten der Marke um Unterstützung seines Vorhabens, um eine Verbindung zwischen Molsheim und einem neuen Standort herzustellen – Campogalliano.
In Campogalliano entsteht die modernste Automobilfabrik
In der Nachbarschaft von Ferrari, Maserati, De Tomaso und Lamborghini entsteht in den folgenden Jahren mit hohem planerischen Aufwand auf 240.000 Quadratmetern die modernste Automanufaktur der Welt - mit Verwaltungsgebäude, Designstudio, Motor- und Testentwicklung, Produktionshallen, Teststrecke und Fahrzeugausstellung. Die Hallen sind offen, lichtdurchflutet und mit Klimaanlagen versehen, so dass die Mitarbeiter das Gefühl haben, sie sitzen im Freien. Als Architekten engagiert er seinen Cousin Giampaolo Benedini, der ein beeindruckendes Gebäude entwirft – es inspiriert anschließend auch andere Hersteller.
Benedini überarbeitet zudem den ersten Entwurf des künftigen Supersportwagens, glättete die scharfen Kanten und die extreme Keilform. „Beim EB 110 mussten wir Grenzen verschieben. Bei der Performance und bei der Qualität, das war ich Ettore Bugatti schuldig. Stückzahlen waren weniger wichtig als kompromisslose Qualität und Innovationen“, erklärt Artioli, der heute zwischen seinem Büro in Lyon und dem Familienwohnsitz in Triest pendelt. Für sein Vorhaben wirbt er Top-Ingenieure und -Designer aus der Region an.
Der EB 110 entsteht auf einem weißen Blatt Papier und bricht mit vielen Konventionen seiner Gattung, schießt an die automobile Spitze. Er wird der beste und schnellste Supersportwagen der Welt. Der EB 110 besitzt das erste in Serie gefertigte Carbonchassis, Allradantrieb, vier Turbolader, 3,5-Liter-V12 mit fünf Ventilen pro Zylinder und 550 PS. Mit über 351 km/h Höchstgeschwindigkeit bricht der Zweisitzer mehrere Rekorde. Vor fast 30 Jahren, am 110. Geburtstag (15. September 1991) von Ettore Bugatti stellt Romano Artioli den EB 110 in Paris vor. Bei der Premiere in Paris kommen über 5.000 Pressevertreter und Industrie-Größen aus der ganzen Welt, dazu unzählige Schaulustige. Mehrere hundert Sicherheitskräfte müssen die Veranstaltung auf dem Place de la Défense absichern. Als Alain Delon mit Artiolis Ehefrau Renata die Champs-Elysées hinunterfährt, kreischen alle Fans.
Prominentester Kunde wird Michael Schumacher, der bei einem Vergleichstest eines Automagazins mehrere Supersportwagen testete, vom EB 110 begeistert ist und ihn als unvergleichbar bezeichnet. „Michael kam sofort danach nach Campogalliano und kaufte einen gelben Super Sport mit blauem GT Interieur. Er fragte nicht nach einem Rabatt – er war schlicht ein Fan“, erinnert sich Artioli. Jeder Besitzer kann sich seinen EB 110 individuell konfigurieren, wie einen Maßanzug.
Doch die Zeiten ändern sich. Zwar sind die Reaktionen auf den EB 110 trotz der globalen Finanzkrise durchweg enthusiastisch. Allerdings leiden die Amerikaner seinerzeit unter dem Eindruck des Golf-Krieges, und zu allem Überfluss steigt der Kurs des Yen und in Italien bricht die Konjunktur ein – Markt und Absatz schrumpfen. Daneben investiert Artioli in das Automobilunternehmen Lotus und häuft Verbindlichkeiten an, Probleme mit Lieferanten kommen hinzu.
Nach 39 Jahren Träumen und sieben Jahre harter Arbeit endet das Projekt Bugatti unter Romano Artioli. Am 23. September 1995, nach dem Bau von ungefähr 128 Fahrzeugen, meldet er Insolvenz an. Bis zum letzten Tag bezahlt er seine 220 Angestellten. „Die Mitarbeiter haben den Geist Bugattis verstanden und den EB 110 so speziell gemacht. Das alles zu verlieren, war ein Schock, ein grausamer Tag für uns alle“, erzählt Artioli. Die schon fast fertige Supersportlimousine EB 112 kann er nicht mehr präsentieren. „Ein unglaubliches Auto, genussvoll zu fahren, mit einem 6,0 Liter großen V12, der hinter der Vorderachse montiert war. Das Chassis bestand aus Kohlefaser und die innenliegenden Aufhängungen waren leicht. Es fuhr sich wie ein Go-Kart“, erinnert sich Artioli.
Doch der Mythos Bugatti schläft nicht lange. 1998 kommt Bugatti wieder zurück ins französische Molsheim. Dorthin, wo 1909 Ettore Bugatti sein erstes Auto unter eigenem Namen selbst baute. Seitdem entstehen in der elsässischen Manufaktur die einzigartigen Hypersportwagen Chiron, Divo, Chiron Pur Sport und als Hommage an den EB 110 bald der Centodieci.