30 Jahre Bugatti EB 110 – Der erste Supersportwagen der Neuzeit
Molsheim
Vor 30 Jahren stellte Bugatti mit dem EB 110 den Supersportwagen der 1990er Jahre vor – und läutete nicht nur eine neue Ära ein, sondern wurde zum Wegbereiter für den modernen Hypersportwagen.
Flache Karosserie, Scherentüren und unheimlich viel Leistung. Als am 15. September 1991 unter großer Medienpräsenz der Bugatti EB 110 vorgestellt wird, bricht eine neue Zeitrechnung an – die der Supersportwagen der Neuzeit. Zur Präsentation in Paris kommen rund 2.000 geladene Gäste, darunter Prominenz aus Film, Sport und Zeitgeschehen. Ein Bugatti EB 110 fährt über die Champs Élysées – und das am 110. Geburtstag Ettore Bugattis. Was für eine Verbeugung vor einem der genialsten Konstrukteure der Automobilgeschichte.
Mit dem EB 110 kombiniert Bugatti erstmals einen leistungsstarken V12, vier Turbos mit Ladeluftkühlung, ein ultraleichtes Carbon-Monocoque, Allradantrieb und zwei Differenziale. Der EB 110 katapultiert den Sportwagen in eine neue Liga.
“Mit dem EB 110 konzipierte Bugatti vor 30 Jahren einen vollkommen neuartigen Supersportwagen, der für die Marke, aber auch für die Automobilindustrie richtungsweisend war“, sagt Stephan Winkelmann, Präsident von Bugatti. „Technik, Innovationen, Design und Fahrverhalten waren vor 30 Jahren Wettbewerbern um Jahre voraus. Zugleich legte der EB 110 mit der Kombination aus Carbon-Monocoque, Allradantrieb und vier Turboladern die DNA moderner Bugatti-Hypersportwagen fest.“
Das lediglich 125 Kilogramm leichte Monocoque besteht erstmals bei einem Serienauto aus Carbon, hergestellt vom französischen Raumfahrtunternehmen Aerospatiale. Für die aerodynamische und stylische Karosserie setzt Bugatti Aluminium, Carbon und aramidfaserverstärkten Kunststoff ein, alle Schrauben sind aus Titan gefertigt – besonders leicht und stabil. Auch den Antrieb entwickelt Bugatti neu. Dem damaligen Formel-1-Reglement entsprechend erarbeiten die Ingenieure einen 3,5-Liter-V12 mit vier Turboladern und fünf Ventilen pro Brennraum – 60 Ventile insgesamt. Besonders drehfreudig: die Höchstdrehzahl von 8.250 U/min. 15 Liter Öl in der Trockensumpfschmierung dienen für ausreichend Motorschmierung und einen ausgeglichenen Temperaturhaushalt. Für eine starke Beschleunigung sorgen unter anderem die vier Turbolader mit einem Ladedruck zwischen 1,05 und 1,2 bar. Sie sorgen außerdem je nach Modell für eine Leistung zwischen 560 und 610 PS – und das vor 30 Jahren.
Damit durch die immense Kraftübertragung nicht Qualm in den Radhäusern entsteht, sondern direkt in Vortrieb umgesetzt wird, entwickelt Bugatti einen Allradantrieb mit Allrad-Visco-Sperre, Sperrdifferenzial hinten und eine Antriebsmomentenverteilung von 27:73 Prozent. Für den nötigen Grip sorgen 18-Zoll-Magnesiumgussräder mit Reifen in der Dimension 245/40 ZR18 vorne und 325/30 ZR18 hinten. Direkt, schnell und präzise wechselt der Fahrer über einen kurzen Hebel die sechs Gänge des manuellen Getriebes. Damit selbst aus Höchstgeschwindigkeit des EB 110 sicher verzögert werden kann, arbeiten Brembo-Bremsen hinter den Rädern. Für mehr Abtrieb und ein dynamischeres Fahrverhalten bei höheren Geschwindigkeiten fährt automatisch ein Heckspoiler aus.
Viele Weltrekorde für den Bugatti EB 110
Vor 30 Jahren ist diese technische Zusammenstellung eine Sensation. Von 0 auf 100 km/h sprintet der EB 110 in bis zu 3,26 Sekunden und ist damit das schnellste Serienauto seiner Zeit. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 351 km/h. Weltrekord für einen Seriensportwagen. Doch nicht nur diese Leistungswerte sind damals neu, sondern auch das Fahrverhalten. Trotz der immensen Leistungsentfaltung fährt sich der EB 110 dank des Allradantriebs komfortabel, harmonisch und sicher.
Dazu passt die Ausstattung, die damals keine Selbstverständlichkeit darstellte: Servolenkung, elektrische Sitzverstellung, Klimaanlage, hochwertige Soundanlage und Zentralverriegelung. Passagiere können sich wie in einer Luxuslimousine über edle Materialien wie das Leder vom italienischen Möbelhersteller Poltrona Frau freuen. Für einen bequemen Einstieg schwingen die Seitentüren weit nach oben.
Als der italienische Automobilimporteur Romano Artioli Ende der 1980er-Jahre die 1909 gegründete und sich seit Anfang der 1960er Jahre ruhende Traditionsmarke wieder zum Leben erweckte, begann das zweite Zeitalter Bugattis. 1987 kauft er die Markenrechte und wird Vorsitzender der Bugatti Automobili S.p.A. Auf der Suche nach dem passenden Produktionsstandort findet er einen Platz in der Nähe von Modena in Campogalliano, dem automobilen Mekka Norditaliens. Sein Kalkül: In geringer Entfernung der großen italienischen Sportwagenmarken findet er weltweit bekannte Konstrukteure, Designer, Entwickler und Monteure. Sein Plan geht auf. In der von einem Star-Architekten geplanten hochmodernen und durch und durch gebrandeten Produktionsstätte, auf dem neuesten Stand der Technik, fangen kurze Zeit später hunderte von neuen Mitarbeitern an. Die „Fabbrica Blu“, das blaue Gebäude der Entwicklungsabteilung mit dem Bugatti-Emblem und den großen weißen Lüftungsrohren symbolisiert dabei das Herz der Fabrik.
Bugatti bietet das neue Coupé als EB 110 GT (Gran Turismo) sowie wenig später die leichtere und stärkere Variante EB 110 S (Sport Stradale, später SS). Mit dem EB 110 stellt Bugatti vier Weltrekorde auf, unter anderem den für die schnellste Beschleunigung, den schnellsten Seriensportwagen, schnellster Sportwagen mit Naturgas betrieben und schnellstes Serienfahrzeug auf Eis. Doch der Markt für Supersportwagen bricht Anfang der 1990er-Jahre ein, die Nachfrage sinkt und die Produktionsstätte wird nach vier Jahren wieder geschlossen. Bis 1995 entstehen in der Manufaktur rund 95 EB 110 GT und 39 EB 110 Super Sport, insgesamt etwa 134 Fahrzeuge inklusive der Prototypen, davon zwei offizielle Werksrennwagen mit 670 PS.
Mindestens 450 Millionen Lira einschließlich Wartungen und Verschleißteile für die ersten drei Jahre kostete der Supersportwagen damals als GT, während die Super Sport Variante bei 550 Millionen Lira startete. Die Preise für die mittlerweile historischen Fahrzeuge stiegen in den vergangenen Jahren deutlich, von rund 280.000 Euro im Jahr 2011 auf, wie erst kürzlich bei der RM Sotheby’s Auktion in Monterey geschehen, fast drei Millionen US-Dollar.
1998 kommt Bugatti wieder zurück ins elsässische Molsheim. Dorthin, wo 1909 Ettore Bugatti sein erstes Automobil unter eigenem Namen selbst baute. Seitdem entstehen im Atelier einzigartige Hypersportwagen mit dem ikonischen W16-Motor, vier Turboladern, leichtem Carbon-Monocoque, Allradantrieb und viel Leistung. Jedes Fahrzeug, das den Stammsitz der französischen Luxusmarke verlässt und an seine an seine Besitzer weltweit ausgeliefert wird, auf seine Weise einzigartig. Wie vor 30 Jahren.