Stilikone Bugatti Type 57 SC Atlantic
Molsheim
Elegant, sportlich, luxuriös und selten. Vier Attribute von vielen, die auf Fahrzeuge von Bugatti zutreffen. Doch auf ein Modell passen diese vier ganz besonders: Das Type 57 SC Atlantic Coupé ist nicht nur eine von Bugattis Legenden, sondern die vielleicht größte. Nur vier Atlantic entstanden zwischen 1936 und 1938. Drei der außergewöhnlichen Coupés existieren noch. Sie gelten als die teuersten Automobile der Welt. Nach dem vierten Atlantic sucht die automobile Welt seit inzwischen mehr als 80 Jahren.
„Der Atlantic zählt zu den Ikonen der traditionsreichen Bugatti-Geschichte. Das Coupé war damals in seiner Eleganz, Qualität und Leistungsentfaltung einzigartig und ist es noch heute. Ein luxuriöser Supersportwagen. Für uns Inspiration und Verpflichtung zugleich“, sagt Stephan Winkelmann, Präsident von Bugatti. „Unsere aktuellen Hypersportwagen Chiron, Chiron Sport und Divo¹ führen diese Tradition in die Neuzeit – ganz im Sinne Bugattis.“
Ettore Bugattis Sohn Jean begann um 1930 die Modellpolitik der Luxusmarke zu modernisieren. Statt mehrerer Modelle entwickelte er ein Grundmodell, aus dem er verschiedene Varianten ableitete. Bugatti konzipierte den Type 57 als Serienauto und als Rennsport-Variante – als ultimativen Grande Tourisme. Dazu zählten unterschiedliche Motorvarianten und Karosserieformen wie Galibier (viertürige Limousine), Stelvio (Cabrio), Ventoux (Zweitürer) und Atalante (Coupé). Vom Type 57 verließen in den verschiedenen Versionen zwischen 1934 und dem Ende der Produktion 1940 etwa 800 Fahrzeuge die Werkshalle.
Atemberaubend elegante Karosserie
Abgesehen von der Variante Atlantic. Dessen Karosserie war damals schon aufsehenerregend schön und exotisch. Die Räder setzen sich von der Karosserie ab, die Motorhaube streckt sich bei nur 3,70 Meter Gesamtlänge weit nach vorne. Das Heck fließt wie ein Oval geformt weit nach unten, bis kurz über den Boden. Sechs dünne Auspuffendrohre schließen den Heckbereich ab. Als herausragendes Design-Merkmal dient ein aufgerichteter Kamm, der senkrecht vom Scharnier der teilbaren Motorhaube bis zum Heckende verläuft. Wie eine messerscharfe Finne teilt er mittig die Karosserie, Nieten halten die geteilten Bleche fest.
Die Atlantic-Modelle entwickelten sich aus dem Einzelstück Aérolithe, auch Coupé Special oder Coupé Aero genannt. Bei diesem Modell mit der Fahrgestell Nummer 57 104 verwendete Jean Bugatti Elektron-Blech aus dem Flugzeugbau für die Karosserie, eine Magnesium-Aluminium-Legierung, Elektron genannt. Elektron besteht aus 90 Prozent Magnesium und 10 Prozent Aluminium. Leicht und strapazierfähig, nur schwierig zu verarbeiten, denn es lässt sich nicht schweißen. Deshalb vernietete Bugatti die Karosserieteile – mit der berühmten Kammlinie.Beim Serien-Atlantic setzte Bugatti zwar auf Aluminium, behielt jedoch die Nieten auf derFinne. Den Namen erhielt das Modell zu Ehren Bugattis Freund Jean Mermoz. Der Postflieger überquerte als erster den Südatlantik mit dem Flugzeug, 1936 kehrte er von einer anderen Südatlantiküberquerung nicht zurück.
Die oberen Türausschnitte verlaufen im Dach, um den Passagieren im niedrigen Coupé das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Bei den ersten beiden Modellen sitzen die Scheinwerfer in den Kotflügeln, die anderen beiden Modelle erhielten freistehende Scheinwerfergehäuse. Doch auch sie unterscheiden sich durch Details. Jedes Modell ist ein Solitär. „Der Type 57 SC Atlantic ist ein Designmanifest von Jean Bugatti. Die atemberaubenden Proportionen dieses Meisterstücks hatten zur damaligen Zeit keine Parallelen und auch heute noch begeistert dieser Entwurf mit einer faszinierenden Eleganz“, sagt Achim Anscheidt, Chefdesigner bei Bugatti. Bei internationalen Schönheitswettbewerben für historische Automobile wie beim Pebble Beach Concours d’Elegance in Kalifornien gewannen die Modelle in den vergangenen Jahren mehrmals Preise. „Die genietete Alu-Naht, die über das Autodach läuft, ist noch heute ein Design-Merkmal. Einzigartig und elegant“, ergänzt Achim Anscheidt.
Als Antrieb des Coupés diente ein laufruhiger und starker 3,3-Liter-Reihen-Achtzylinder mit bis zu etwa 200 PS, die Höchstgeschwindigkeit lag bei über 200 km/h – in einer Zeit, in der auf vielen Straßen noch Kutschen unterwegs waren. „Wegweisend und progressiv folgt bei Bugatti schon lange die Form der Performance. Das hat sich bis heute nicht geändert“, sagt Stephan Winkelmann.
Nur drei Kundenfahrzeuge entstanden
Bugatti verkaufte nur drei der handgefertigten Atlantic-Fahrzeuge an Kunden. 1936 baute Bugatti das erste Modell für den britischen Bankier Victor Rothschild, noch ohne Kompressor, in Graublau. Heute ist das Fahrzeug als Rothschild-Atlantic mit der Nummer 57 374 bekannt. Den Holzschuh-Atlantic, der dritte gebaute mit der Fahrgestellnummer 57 473, lieferte Bugatti im Oktober 1936 an den Franzosen Jacques Holzschuh aus. Der zweite Besitzer des Autos, ein Sammler, verunglückte mit dem Atlantic an einem Bahnübergang, wobei der Fahrer starb und der Bugatti völlig zerfetzt wurde. Jahrzehnte später wurde der Atlantic aufwendig restauriert, der Motor konnte jedoch nicht mehr gerettet werden. Der Modeschöpfer Ralph Lauren besitzt den letzten gebauten Atlantic mit der Fahrgestellnummer 57 591, den im Mai 1938 fertiggestellten Pope-Atlantic – sein Erstbesitzer war der Brite R.B. Pope.
Für sich persönlich ließ Jean Bugatti den zweiten Atlantic herstellen. Er allein sowie ab und an ein ausgewählter Freund, meist Rennfahrer des Hauses, durfte sich hinter das große Lenkrad des Coupés mit der Fahrgestellnummer 57 453 setzen. Bugatti nutzte den „La Voiture Noire“ – den schwarzen Wagen – mit einer vorderen Stoßstange und tieferen Türen als Modell für Prospektfotos und als Ausstellungsstück bei internationalen Fahrzeugmessen wie in Lyon und Nizza. Im Gegensatz zu den anderen Modellen verliert sich die Spur des Sportwagens nach 1938. Es ist nicht ganz klar, ob Jean Bugatti das Auto an einen befreundeten Rennfahrer verkaufte, oder ob es, was wahrscheinlicher ist, beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht ins Elsass in eine sichere Region geschickt wurde. Fest steht: Der zweite gebaute Atlantic wurde bis heute nicht gefunden. Sein Verschwinden gilt als eines der größten automobilen Rätsel. Experten schätzen den Wert des Atlantics auf mehr als 100 Millionen Euro – wenn er jemals wieder auftaucht.