Bugatti-Testfahrer Steve Jenny – Mit Präzision und viel Gefühl
Molsheim
Rund 95 Prozent aller ausgelieferten Bugatti Fahrzeuge hat er getestet, über 350.000 Kilometer zurückgelegt: Steve Jenny. Ein Traumjob mit enormer Verantwortung.
Voll konzentriert spult er die Strecke ab, spürt jede Vibration, erkennt feinste Unterschiede zu anderen Modellen: Steve Jenny, Testfahrer bei Bugatti und zuständig für die finale Auslieferung, verantwortlich dafür, dass die größten Hypersportwagen der Welt in perfektem Zustand ausgeliefert werden. Ein Traumjob, sicherlich, aber auch einer, der viel Disziplin und Konzentration verlangt. Denn jede Fahrt muss reproduzierbar und vergleichbar sein. Im Durchschnitt kontrolliert der Franzose zwei Bugatti-Fahrzeuge pro Woche, immer mit einer anderen Konfiguration. In den vergangenen 17 Jahren glich kein Auto dem anderen, jedoch sorgt er dafür, dass sie sich alle wie ein Bugatti anfühlen. Als Experte der Qualitätssicherung achtet Steve Jenny auf jedes noch so kleine Detail. 95 Prozent aller Bugatti, die bis heute in Molsheim per Hand erstellt wurden, kontrollierte er, legte dafür bisher über 350.000 Kilometer im Veyron, Chiron¹ und Divo² zurück. Für ihn mehr Leidenschaft als Arbeit.
Der im Elsass aufgewachsene Franzose hat Leistungstechnik schon immer im Blut gehabt. Nach seinem Führerschein baut er sich einen Rallyewagen auf und nahm sogar als Beifahrer an einer Rallye teil, bevor er sich zum Feinmechaniker und Messtechniker einweist. Steve bildet sich dann weiter und wird Qualitätsprüfer mit dem besonderen Auge für Präzision und Qualität. Bei renommierten Zulieferern wie Mahle und BBS entwickelt er Motorsport-Komponenten, die den härtesten Belastungen, G-Kräften und Temperaturen standhalten.
Im Mai 2004 ruft ihn ein Bekannter an und berichtet ihm, dass auf der privaten Rennstrecke im französischen Colmar Autos wie Düsenflieger unterwegs sind. „Das hat mein Interesse geweckt und bin sofort hingefahren. Es waren natürlich keine Jets, sondern Bugatti-Veyron-Prototypen“, erinnert sich Steve Jenny. Er recherchiert und findet heraus, dass die historische Marke wieder existiert und den ersten Hypersportwagen im nicht weit entfernten Molsheim in Handarbeit herstellt.
Als er im Juni als Zuschauer bei einem Bergrennen in der Nähe von Molsheim ist, wird er neugierig und schaut sich das Bugatti-Gelände an. Er ist tief beeindruckt von der Verbindung der Bugatti-Tradition mit der Präzisionstechnik und schickt kurze Zeit später eine Bewerbung ab.
„An einem Freitag im Juli bekam ich nachmittags einen Anruf, dass ich einen Job bekomme. Ich bin direkt nach Molsheim gefahren und habe den Vertrag als einer der ersten Mitarbeiter unterschrieben“, erzählt er. Sein künftiger Job: Aufbau und Analyse einer Abteilung für Fahrzeugkontrolle. Er würde dafür verantwortlich sein, ein Verfahren zu entwickeln, das sicherstellt, dass jeder einzelne Bugatti perfekt funktioniert und die gleichen strengen Kriterien erfüllt. Es wäre kein Bugatti, wenn Steve ihn nicht abgenommen hätte.
In den nächsten Monaten entwickelte der Techniker neue Verfahren für die Qualitätsprüfung und konzipiert einen Mess- und Analyseraum, wo die künftigen Fahrzeuge vor der Auslieferung an Kunden gründlich überprüft werden sollen. „Der Anspruch von Bugatti war immer, dass die Autos perfekt ausgeliefert werden müssen. Ein Hypersportwagen, der über 400 km/h schnell fährt, muss perfekt laufen“, erklärt der Franzose.
An die erste Mitfahrt in einem Veyron am 3. März 2005 kann er sich nur schwach erinnern. „Ich war viel zu nervös. Als Beifahrer eines erfahrenen Qualitäts-Ingenieurs musste ich auf viele technische Aspekte achten. So konnte ich die Fahrt nicht wirklich genießen“, sagt er.
Christophe Piochon, der damals der Qualitätssicherung Produktion Leiter war, verwaltete die Produktion und suchte ab September 2005 einen passionierten Fahrer und Techniker, der sich im Elsass auskennt. Das Ziel: Jeder Veyron soll nach der statischen Abnahme auf der Straße nach einem vorher definierten Prüfprogramm intensiv getestet werden, bevor er an Kunden ausgeliefert wird.
„Als Piochon mir die Aufgabe übergeben hat, war ich stolz und dankbar zugleich. Stolz, weil der Veyron ein unglaubliches, technisch einzigartiges Auto ist und dankbar, weil ich so viele Vorschusslorbeeren bekommen habe. Für mich einer der schönsten Tage meines Lebens“, sagt er.
Am Anfang überlegen sich die Experten, wie viele Kilometer für eine Probefahrt nötig sind, um möglichst viele Situationen abzudecken, die Kunden erleben können. Neben Fahrten auf der Autobahn, Landstraßen und in der Stadt zählen dazu auch Beschleunigungs- und Slalomfahrten auf einem Flugplatz und einer Rennstrecke. Bugatti-Fahrzeuge sind die einzigen Fahrzeuge weltweit, die so eine strenge und intensive Abschlusskontrolle erfahren.
Testfahrt dauert fünf Stunden
Steve Jenny überprüft zunächst die für die Region geltende Homologation, in die das Fahrzeug ausgeliefert wird. Dann folgt die Kontrolle der gewählten Konfiguration des Kunden. Wurden alle Wünsche und Optionen des Kunden korrekt umgesetzt? Anschließend testet der Qualitätsprüfer alle elektrisch betriebenen Funktionen. Erst nach diesem Check startet Steve Jenny den W16-Motor und rollt langsam aus dem Atelier. Dann folgt eine der vier definierten Routen: Sommer, Übergang, Winter und Analysefahrt. Das ist wie bei Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Jede Tour hat ihre ganz besonderen Momente, sie passen aber auch hervorragend zusammen“, erklärt er.
Die Testfahrt dauert bis zu fünf Stunden und geht in der Regel über eine rund 300 Kilometer lange Strecke durchs Elsass. Bei der dynamischen Abnahme kontrolliert Steve Jenny in den nächsten Stunden das Gewicht und das Ansprechverhalten der Pedale, das Lenkgefühl und hört aufmerksam auf ungewöhnliche Geräusche. Auf der 80-Kilometer-Marke nimmt der Wagen eine raue Kopfsteinpflasterstraße in Angriff, ein harter Test für die Messung von Komfort und Geräuschentwicklung der Federung.
„Du musst das Auto mit jeder Faser spüren und es richtig einschätzen. Dabei hilft technisches Verständnis, aber vor allem viel Erfahrung“, sagt er. Die kurvenreichen und bergigen Strecken der Vogesen sind für diese Fahrt ideal.
Für Beschleunigungs- und Hochgeschwindigkeits-Tests fährt er jeden Bugatti auf die gesperrte Landebahn des Flughafens in Colmar, um seine Autos an die Grenzen zu bringen, für die sie entwickelt wurden. Dort werden die Hypersportwagen bei Geschwindigkeiten von über 300 km/h verschiedene Funktionstests unterzogen: Startkontrolle, Auslösen der Bremsklappen, schneller Spurwechsel, Vollbremsung bei 200 km/h und ein ESP-Check. Diese Tests sind entscheidend, um das Vertrauen der Bugatti-Fahrer auf der ganzen Welt zu gewinnen, die schneller unterwegs sein wollen als jedes andere Serienfahrzeug.
„Bei einem so individuellen und in Handarbeit hergestellten Fahrzeug können ein paar Punkte auftauchen, die wir anschließend korrigieren. Wir wollen noch so kleine, aber mögliche Kritikpunkte vor der Auslieferung abstellen. Nur dann ist der Kunde glücklich“, sagt Steve Jenny.
Vom Flughafen in Colmar geht es anschließend im ruhigeren Tempo zurück ins Atelier. Dort macht sich der Testfahrer Notizen; nur wenn das Auto alle Kriterien einer langen Liste erfüllt, wird es für den nächsten Schritt vorbereitet. Techniker wechseln das Getriebeöl sowie die zum Fahrzeug gehörenden Räder und montieren den originalen Unterboden. Danach erfolgt eine einstündige Testfahrt über mindestens 50 Kilometer, um die endgültige fahrdynamische Freigabe zu erhalten. Insgesamt werden Bugatti-Modelle zwischen 350 und 750 Kilometer für ausführliche Tests gefahren, bevor sie ausgeliefert werde.
Ob der Job nicht irgendwann mal langweilig wird? Steve Jenny schüttelt den Kopf. „Nein. Jeder Tag ist einzigartig und es bereitet immer wieder Freude, mit diesen außergewöhnlichen Autos arbeiten zu dürfen“, sagt er.
„Mit dem Chiron und seinen 1.500 PS perfektionierte Bugatti den Hypersportwagen. Im Chiron Super Sport³ leistet der 8,0-Liter-W16 sogar 1.600 PS und fährt bis zu 440 km/h schnell. Der Drang nach Perfektion und Optimierung von Bugatti hört eben nie auf“, sagt Steve Jenny.